Die Bereitung von Tee ist eine kunstvolle Beschäftigung. Im Gegensatz zum Kaffee ist je nach Teeart und -sorte zu bedenken, wie heiß die Temperatur des Wassers und wie lange diesem die Teeblätter ausgesetzt sein sollen. Zudem muss man dem Tee Raum geben, nur ungern lässt er sich in Teeeier oder -beutel zwängen. Am Liebsten entfaltet er sich im vollem Volumen des Wassers, der ganzen Kanne oder Tasse. Doch im Alltag steht die optimale Geschmacksentfaltung mit der praktischen, simplen Handhabung im Zwist. Dieser Widerstreit hat so manchen teeliebenden Erfindergeist beflügelt.
Ein Produktkind solchen Geistes ist die Kippkanne, auch unter den Namen Patentkanne, Sparkanne, Dundonald-Kanne oder S.Y.P. (simply yet perfect) Teapot bekannt. Gemeint sind Teekannen aus Keramik, Metall oder Glas mit zwei Kammern, die durch ein Sieb von einander getrennt sind. In zwei bis drei Positionen vollzieht sie die Stadien der Teezubereitung, ohne ein Sieb oder einen Beutel tropfend entnehmen oder das fertige Heißgetränk durch ein Sieb in eine zweite Kanne von den Blättern abgiesen zu müssen. Auf dem Rücken liegend füllt man den losen Tee in die Kammer direkt an der Öffnung, gibt das Wasser hinzu, das sich sofort in beiden Kammern ausbreitet und den Tee umspült. Ist die Ziehzeit zu Ende, wird die Kanne halb aufgestellt, das Wasser läuft aus der Teekammer langsam ab, ohne dass die Blätter über die Siebbarriere gespült werden. Kannen, in denen die Kammern komplett getrennt sind, überspringen diesen Schritt. Im letzten Stadium wird die Kanne vollends aufgestellt und ist bereit zum Einschenken des Tees in die Tassen.
Erfunden – und patentiert – wurde diese famose Kanne in Großbritanien, und beides gleich zweimal. Auch wenn man sie meist mit dem schottischen Adeligen Dundonald in Verbindung bringt, ist eine solche Kippkanne bereits 1900 von einem Herren John Alfred Hayward zum Patent angemeldet worden. Der Erfolg und die Serienproduktion scheinen ausgeblieben zu sein.
1905 meldet Douglas Cochrane, 12. Earl of Dundonald ebenfalls eine Kippkanne zum Patent an. Der Unterschied liegt im Deckel, der nun die Kammern komplett von einander abtrennt, was ein schnelleres Aufrichten der Kanne ermöglicht. Die Teeblätter können in keinster Weise in die zweite Kammer gelangen. Der Earl war ein vielgereister Mann der Militärs, und auf Reisen sind die Briten pragmatisch; Cochranes Patentanmeldung weist die Kanne für die Zubereitung von Tee und Kaffee (sic!) aus. Auf Reisen eine Kanne für beides! Gelegentlich nimmt der britische Pragmatismus Züge an, die man im Englischen honett mit „interesting“ kommentieren würde. Wie weit es gelegentlich her ist mit der Teekultur im angeblichen Mutterland der Teetrinker zeigt ja auch der runde Teebeutel ohne Faden; der nicht rückholbar in der Teetasse versenkt wird wie ein abgeklapptes Fass im atomaren Endlager. Es ensteht ein Tee, den man von Kaffee kaum noch unterscheiden kann, die Zufügung von Milch und Zucker quasi erzwingt. Deshalb scheint die Benutzung der Kippkanne für beides, Tee und Kaffee, aus englischer Sicht kein Tabu zu sein.
Die Kanne von 1905, ist eigentlich nicht Dundonalds erste Kippkanne. Ein eingereichtes Patent von 1901 ist eine wahre Wundermaschine: Tee- und Kaffekanne sowie Wasserkessel in einem. Aufrechtstehend mit Wasser gefüllt, soll sie auf den Herd stellbar sein, wenn das Wasser kocht, wird die Kanne auf den Rücken gelegt und das wasser kann in eine zweite Kammer oder ein eingeschobenes Sieb fließen. Um die Ziehzeit zu unterbrechen, wird die Kanne wieder aufrecht gestellt, und das fertige Getränk kann ausgeschänkt werden. Diese Kanne hat es allerdings nicht zur Serienreife geschafft.
Seine Kanne von 1905 kam indess sehr bald auf den Markt. Der Earl von Dundonald war, vielleicht auch wegen seiner Bekanntheit und seines noblen Titels, besser als Hayward in der Vermarktung. Zunächst werden die Kannen aus Keramik hergestellt und mit dem Stempel „Trademark Patent S.Y.P. Teapot Chiswick London“ versehen auf den Markt gebracht. Wo Sie wirklich produziert wurden, lässt sich daraus nicht ableiten. Vielleicht in Asien, vielleicht aber bereits bei Wegdwood, die später diese Kanne Jahrzehnte lang produzierten. Gelegentlich wurde die Kanne auch in Silber oder Bronze ausgeführt, in Silber zum Beispiel von James Dixon & Sons aus Sheffield.
Auch in anderen Ländern interessierte man sich für diese Kanne. In Norwegen zum Beispiel ließ der Gewürz- und Teeimporteur Olaf Ellingsen die Kippkanne für sich produzieren. In Deutschland stellte lange Zeit die Firma Rosenthal diese Kanne her, vor allem für das Frankfurter Teehaus Ronnefeldt, weshalb gelegentlich auch von der Ronnefeldtkanne gesprochen wird. In Deutschland hat und hatte die Kippkanne ihre Anhängerschaft, so produzierte auch Jenaer Glas Anfang diesen Jahrhunderts eine Glasteekanne Namens Globo mit ähnlichen Prinzip. Im Deckel, der allerdings aus schwarzem Plastik bestand, war ein Sieb integriert, das sich nach dem Aufstellen oberhalb des Wasserniveaus befand. Das herausnehmbare Sieb vereinfachte zwar die bei anderen Kippkannen etwas mühsame Säuberung, war aber leider viel zu klein geraten. Richtig Raum zun Entfalten hatte der Tee nicht.
Heute gibt es noch zwei Anbieter in Deutschland. Ronnefeldt verkauft weiterhin die Kippkanne, allerdings in einer abgewandelten Form, die in China produziert wird. Der nun runde Deckel schließt nicht mehr komplett die Teekammer ab. Das in Kiel ansässige Teehandelshaus Die Teekiste hat mehrere Jahre an der Kippkanne geforscht, die sie zunächst in Metall fertigen ließen, was sie nun leider nicht mehr weiterführen. Aus Porzellan wird sie in Meissen für die Teekiste aber weiterhin hergestellt. Der Österreichische Versandhändler Biber Umweltprodukte hat ebenfalls eine Kippkanne im Angebot, die in Sachsen-Anhalt produziert wird.
Es gibt auch eine Kipptasse. Die in Finnland von den Designer Laura Bougdanos und Vesa Jaasko entwickelte Tasse, die es unter dem Namen tipcup oder Magisso Teeschale zukaufen gibt, funktiniert ebenfalls mit der Zwei-Kammer-Methode. Praktisch für die kleine Portion mit schwungvollem Design, das 2011 mit dem reddot-Award ausgezeichnet wurde. Die Tasse wurde zunächst aus Kunststoff gefertigt, ist nun aber auch in Glas und Porzellan erhältlich. Denn wer will schon Tee aus der Plastiktasse trinken?